Betrachten von Papierbildern
Glauben Sie, beim bloßen Betrachten von Papierbildern kann farblich nichts schiefgehen? Leider muss ich Sie auch hier enttäuschen. Das Aussehen von Papierbildern hängt immer von dem Licht ab, mit dem sie beleuchtet werden - und selbst das Verhältnis der Farben relativ zueinander kann bei verschiedenen Lichtquellen noch ein wenig abweichen. Man nennt diesen Effekt "Metamerie".
Der Aufbau von Farbstoffen ist etwas sehr Komplexes (auch wenn ich das Thema Farben in dieser Abhandlung bewusst vereinfacht dargestellt habe). Besonders die Farben von Fotopapier können sehr seltsam auf Licht reagieren, das kein vollständiges Farbspektrum aufweist - und das ist ja bei vielen künstlichen Lichtquellen der Fall. Tageslicht ist immer die Referenz. Glühbirnen, Halogenlampen und hochwertige LED-Lampen sind (abgesehen von der teils niedrigeren Farbtemperatur) ebenfalls okay. Hingegen zeigen Fotos unter manchen Leuchtstoffröhren, Energiesparlampen und einfachen LED-Lampen plötzlich einen Farbstich - und zwar nicht nur im Vergleich zu einem Monitor, sondern absolut und mit bloßem Auge erkennbar. Das kommt daher, dass diese Leuchten kein kontinuierliches Spektrum und somit auch keine Farbtemperatur im herkömmlichen Sinne besitzen (auch wenn die Hersteller oft eine angebliche Farbtemperatur draufdrucken - was in Wirklichkeit nur ein grober Vergleichswert ist). Für die Beurteilung der Farben von Fotos sind solche Lampen ungeeignet.
Denken Sie bitte an dieses Phänomen, wenn Sie z. B. im Wohnzimmer unter dem Licht von Energiesparlampen Ihre Fotoalben anschauen - oder wenn Sie Fotos an der Wand aufgehängt haben und sie dort abends künstlich beleuchtet werden. Wundern Sie sich nicht über Farbstiche, die unter Tageslicht noch gar nicht da waren! Es sind relativ kleine Abweichungen, aber sie treten reproduzierbar auf.
Mit chemischem Fotopapier ist der Effekt am häufigsten zu sehen, z. B. ein leichter Rosa-Stich unter bestimmten Leuchtstoffröhren. Die Farben der meisten Tintenstrahldrucke reagieren auf Licht mit diskontinuierlichem Spektrum etwas weniger empfindlich, aber es kommt auch auf die benutzten Farbstoffe an. Sogar Künstlerfarben (Öl, Acryl, Aquarell) können von solchen Effekten betroffen sein.
Leider sind diese Zusammenhänge auch unter Galeristen nicht immer bekannt. Oft sieht man in Gemälde- und Fotoausstellungen, wie zur Beleuchtung der Exponate einfache Energiesparlampen, Tageslicht-Leuchtstoffröhren oder billige LEDs zum Einsatz kommen. Das muss nicht immer gleich mit jedem Bild Probleme verursachen, aber die Möglichkeit ist zumindest gegeben.
Dass in Druckereien und Grafikstudios ein streng zertifiziertes Normlicht zur Farbbeurteilung herangezogen wird, dient nicht nur dem Direktvergleich mit einem Monitorbild. Auch für sich genommen muss dieses Licht bestimmte Anforderungen erfüllen, was seine spektrale Zusammensetzung angeht. Man versucht, dem echten Tageslicht nahezukommen.
Der augenfälligste (aber gar nicht wichtigste) Unterschied betrifft die Lichtfarbe. Sie kann auf zwei Achsen variieren: der Blau-Orange-Achse (sie entspricht der Farbtemperatur-Skala natürlicher Lichtquellen, also von kühl/bläulich bis warm/gelblich) und der Grün-Magenta-Achse (sie definiert eine zusätzliche Abweichung in Richtung Grün/Türkis oder Rot/Magenta).
Grundsätzlich kann unser Auge sich gut an verschiedene Lichtfarben
anpassen, und zwar auf beiden Achsen. Das betrifft übrigens nicht nur
künstliche Lichtquellen. Wenn wir ein Foto z. B. in einer Waldlichtung
betrachten, wo das Umgebungslicht aufgrund des vielen Blattgrüns in
Richtung Grün verschoben ist, empfinden wir deswegen noch keinen
Farbstich. Unser Gehirn vergleicht das Foto mit dem Licht der Umgebung
und bügelt die Abweichung aus.
Die Anpassungsfähigkeit kommt
allerdings bei Extremwerten an ihre Grenzen. Ein extrem kühles
Licht (d. h. Farbtemperatur weit über 10.000 K) würden wir dann auch
ohne Vergleich als bläulich empfinden, oder die sehr warme Farbe eines
Sonnenuntergang (unter 2000 K) empfinden wir als orange. Auf der
Grün-Magenta-Achse bemerken wir auch schon etwas geringere Abweichungen.
Das alles lässt sich auf unsere evolutionäre Prägung zurückführen.
Auf Licht mit diskontinuierlichem Spektrum wurden wir in der Evolution noch nicht geprägt. Durch direkte Vergleiche können wir solchen Lichtquellen trotzdem eine Lichtfarbe zuordnen. Diese ist dann - anders als die Farbe natürlicher Lichtquellen - auf unsere subjektive Wahrnehmung beschränkt und messtechnisch nur sehr schwer nachvollziehbar. Die Wissenschaft hat versucht, das Farbensehen einer Vielzahl von Testpersonen zu erfassen und daraus Interpretationen zu entwickeln, die der menschlichen Wahrnehmung möglichst nahe kommen ("Normalbeobachter"). Aber solche Verfahren können bestenfalls das Farbensehen eines Durchschnittsmenschen beschreiben, von dem der Einzelme noch etwas abweichen kann. Besser ist es daher immer noch, eine Lichtquelle zu haben, deren Spektrum einer natürlichen Lichtquelle bereits möglichst nahekommt.
Ein gängiges Maß für die spektrale Qualität einer Lichtquelle ist der
"Color Rendering Index", kurz
CRI. (Es gibt dafür auch die technischen Bezeichnungen Ra
oder RA. Damit ist immer dasselbe gemeint.)
Ein CRI von 100 bedeutet, dass die
spektrale Zusammensetzung dieselbe ist wie bei einer klassischen
Heißkörper-Lichtquelle gleicher Nenn-Farbtemperatur. Weicht die
spektrale Zusammensetzung ab, ist der CRI niedriger.
Tageslicht, Glühlampen, Halogenlampen und Blitzgeräte haben einen CRI
von (nahezu) 100. Als "thermische Strahler" besitzen sie von Haus aus ein echtes
Spektrum und eine echte Farbtemperatur.
Leuchtstoffröhren bzw. Energiesparlampen haben ein diskontinuierliches
Spektrum aus nur wenigen Wellenlängen; man kann ihnen daher keine echte
Farbtemperatur zuweisen. Billige Leuchtstoffröhren kommen nur auf CRIs
unter 60. Hochwertige Leuchtstoffröhren (besonders solche, die für Foto-
oder Normlicht-Zwecke angeboten werden) besitzen Spektren mit mehr
einzelnen Wellenlängen und ahmen ein echtes Heißkörper-Spektrum besser
nach; der CRI kann dann über 90 liegen.
Weiße LED-Lampen haben im
Prinzip ein kontinuierliches Spektrum, das aber einzelne Lücken und
Peaks aufweist und daher ebenfalls nicht ganz einem Heißkörper-Spektrum
entspricht. Die Farbwiedergabe billiger LEDs ist nicht besser als die
billiger Leuchtstoffröhren. Dagegen neuere Haushalts-LED-Leuchtmittel
von Markenherstellern erreichen meist schon CRIs über 80 - Tendenz
steigend (die Weiterentwicklung dauert ja noch an). Spezielle für Foto und Video
optimierte LED-Leuchten können
schon heute CRIs knapp unter 100 erreichen.
Ganz so toll, wie ein CRI von fast 100 nahelegt, ist die Qualität
dann aber doch nicht immer. Man muss nämlich wissen, dass der CRI noch aus der Zeit der ersten
Leuchtstoffröhren stammt und relativ einfach gemessen wird (anhand nur
weniger genormter Farbfelder). Für die
Beurteilung heutiger LEDs gilt der CRI unter Experten als zu ungenau -
auch weil die Hersteller mit ein paar Tricks auf bessere Werte kommen
können, ohne dass die Farbqualität sich tatsächlich bessert. Vor diesem
Hintergrund muss man die CRI-Angaben auf Leuchtmittel-Verpackungen immer
kritisch sehen und davon ausgehen, dass die Spektralverteilungen in
Wahrheit etwas schlechter sind.
Es gibt neuere Messmethoden,
die genauere Aussagen über die spektrale Qualität erlauben - aber die
darauf basierenden Normen sind noch kaum gebräuchlich. Solange die
Hersteller nur die CRI-Werte liefern, müssen wir als Normalnutzer leider
damit auskommen.
Ein erster Anhaltspunkt und "besser als nichts" ist der CRI allemal.
Geräte, die das Spektrum einer Lichtquelle ermitteln können, heißen Spektralphotometer. Leider sind sie für (Hobby-)Fotografen, die nur beiläufig am Thema Lichtspektrum interessiert sind, kaum erschwinglich. Billiger kann man mit Hilfe eines Prismas oder eines Spektralgitters das Licht in seine Spektralfarben aufschlüsseln und daraus zumindest ein grobes Diagramm erzeugen; im Internet kursieren entsprechende Anleitungen für Bastler. Konkrete CRI- oder Farbtemperatur-Werte ermitteln kann man damit natürlich nicht.
In aller Regel werden Fotografen auf eigene Versuche verzichten und stattdessen auf die Angaben der Leuchtmittel-Hersteller vertrauen. Man muss halt wissen, wie man sie zu lesen hat und dass z. B. eine Farbtemperatur-Angabe allein noch wenig aussagt, wenn sie nicht wenigstens mit einem CRI-Wert ergänzt ist. Idealerweise liefert der Hersteller gleich ein aussagefähiges Diagramm des Lichtspektrums mit; daraus kann man manchmal sogar mehr ablesen als aus einem geschönten CRI-Wert.
Es gibt im Fachhandel Normlicht-Teststreifen zu kaufen, mit denen man überprüfen kann, ob die Lichtfarbe D50 (5000 Kelvin) vorliegt: Wenn beide Flächen des Materials gleich aussehen, ist es
D50-Normlicht. Weichen sie farblich ab, ist es eine andere Lichtfarbe.
Diese Teststreifen sind nicht sehr präzise und
für Fotografen auch nicht besonders nützlich; sie ersetzen keinesfalls
eine Farbmessung mittels Spektralphotometer. Aber immerhin demonstrieren
sie sehr anschaulich den Metamerie-Effekt - also dass manche Farbstoffe unter verschiedenen Lichtsorten relativ zueinander unterschiedlich aussehen.
Autor: Andreas Beitinger
Letzte Änderung: November 2017
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