In Videofilmer-Kreisen kursiert seit Jahren eine Faustregel zur
Bestimmung der Belichtungszeit: die 180°-Shutter-Regel. Sie besagt, für
eine schöne Bewegungswiedergabe müsse man Videos immer mit dem Kehrwert
der doppelten Framerate belichten. Also beim Filmen in 24 fps belichtet
man mit 1/48 Sekunde, bei 25 fps mit 1/50 Sekunde oder bei 60 fps mit
1/120 Sekunde.
Das ist gar nicht immer so leicht in die Praxis
umzusetzen, weil draußen unter Tageslicht der Blendenspielraum des
Objektivs nicht ausreicht, um eine so lange Belichtungszeit zu erlauben.
Filmer behelfen sich dann mit festen oder variablen ND-Filtern. Das
Filmen wird also umständlicher. Man kann sich fragen, ob die Einhaltung
der Regel wirklich so wichtig ist und den Mehraufwand rechtfertigt.
Nur wenige Filmer wissen, woher die 180°-Shutter-Regel ursprünglich kommt und wann ihre Anwendung heute noch sinnvoll ist. Sie wird oft missverstanden, zu wörtlich genommen oder sogar in Situationen angewendet, wo sie völlig fehl am Platz ist und die Ergebnisse eher verschlechtert.
Der Begriff kommt von analogen Filmkameras. "Shutter" ist das englische Wort für einen mechanischen Verschluss, der die Belichtungszeit regelt.
Bei Filmkameras hatte man das Problem, dass der Film zwischen den einzelnen Aufnahmen weitertransportiert werden musste und in dieser Zeit keine Belichtung stattfinden durfte. Daher wurden Filmkameras mit Flügelblenden ausgestattet, die synchron zum Filmtransport liefen und dafür sorgten, dass das Filmfenster während der Transportphasen abgedunkelt war. Als Maß für das zeitliche Verhältnis von Hell- und Dunkelphasen addierte man die Winkel der abgedunkelten und offenen Flügelsegmente zu jeweils einem Gesamtwert: dem Hellsektor und dem Dunkelsektor.
Als Quasi-Standard für Filmkameras etablierten sich Hellsektor und Dunkelsektor von jeweils 180° - also die Hälfte der Zeit wurde das Filmfenster für den Filmtransport abgedunkelt, die andere Hälfte der Zeit wurde belichtet. Das war sehr einfach zu rechnen. So ergaben sich Belichtungszeiten nach einer einfachen Regel, die wir bis heute als 180°-Shutter-Regel kennen. Man konnte sie dann am Belichtungsmesser einstellen und auf dieser Basis die korrekte Gesamtbelichtung herstellen (unter Einbeziehung von Blendenwert, ND-Filterfaktor und/oder Wahl der Filmempfindlichkeit).
In ihrem Ursprung diente die 180°-Shutter-Regel also gar nicht dazu, die bestmögliche Belichtungszeit zu einer bestimmten Framerate zu finden - denn die Belichtungszeit war ja durch die Framerate und die Auslegung der Flügelblende bereits festgelegt. Die Regel diente nur dazu, diese bereits feststehende Belichtungszeit als Zahlenwert zu ermitteln, damit man sie z. B. am Belichtungsmesser einstellen konnte.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass bereits zur Filmkamera-Zeit die 180°-Regel nicht immer galt. Es gab nämlich auch Filmkameras mit anderen Sektoren-Werten oder sogar mit variablen Sektoren. Wenn die Kamera einen sehr flotten Filmtransport beherrschte, konnte man den Hellsektor bis etwa 270° ausdehnen und dadurch etwas Lichtempfindlichkeit gewinnen. Umgekehrt konnte man den Hellsektor weit unter 180° verkleinern und dadurch kürzere Belichtungszeiten erzielen; manche Kameraleute gestalteten damit z. B. in Kampfszenen absichtlich abgehackte, stroboskopartige Bewegungen mit scharfen Einzelbildern. (Das war eine künstlerische Entscheidung, die man gut oder schlecht finden konnte. Auf jeden Fall war die technische Möglichkeit gegeben.)
Man mag sich fragen, wozu man in der Zeit des analogen Films überhaupt eine "Regel" zur Bestimmung der Belichtungszeit brauchte. Es gab ja noch nicht so viele verschiedene Frameraten, so dass auch die Belichtungszeiten nicht stark variierten: Kinofilme wurden immer in 24 fps mit 1/48 Sekunde gedreht, europäische Fernsehfilme in 25 fps mit 1/50 Sekunde und amerikanische Fernsehfilme anfangs in 30 fps mit 1/60 Sekunde (später dann wie Kinofilme in 24 fps mit 1/48 Sekunde). Jedes dieser Aufnahmeformate hatte also eine feste Belichtungszeit, die bekannt war. Es gab keinen Grund, immer wieder neu zu rechnen.
Interessant wurde die Regel erst in dem Moment, wo man die
Aufnahmegeschwindigkeit änderte, um Zeitlupen oder Zeitraffer zu bekommen.
Denn mit der Änderung der Framerate ergab sich auch automatisch eine
proportionale Änderung der Belichtungszeit - und die musste man ja kennen,
um die Gesamtbelichtung entsprechend anzupassen.
Ein kleines Beispiel:
Angenommen, jemand wollte in einem Kinofilm eine 3-fache Zeitlupe zeigen,
musste er die Aufnahmeframerate von 24 auf 72 fps erhöhen. Dadurch verkürzte
sich automatisch auch die Belichtungszeit von 1/48 Sekunde auf 1/144
Sekunde. Umgekehrt, wenn z. B. für Verfolgungsjagden ein leichter Zeitraffer
gewünscht war und daher nur mit 15 fps gedreht wurde, verlängerte sich die
Belichtungszeit auf 1/30 Sekunde. Um diese Werte zu ermitteln, brauchte man
die 180°-Shutter-Regel.
Als digitale Filmkameras zur Verfügung standen, eröffneten sich dem Filmer plötzlich ganz neue Freiheiten in Sachen Belichtungszeit. Eine feste, mechanisch bedingte Verknüpfung zwischen Framerate und Belichtungszeit gab es nicht mehr. Da keine Zeit für den Filmtransport mehr nötig war, konnte man nun auch etwas längere Belichtungszeiten wählen bis hin zum ganzen Kehrwert der Framerate (z. B. 1/25 Sekunde bei 25 fps). Kürzere Zeiten waren ohnehin möglich; dazu war nun keine aufwendige Spezialkamera mehr nötig.
Leider zeigte sich bald, dass die neue Freiheit nicht immer ein Vorteil
ist. Wenn man nämlich bei einer typischen Film-Framerate von 24 oder 25 fps
mit 1/25 Sekunde belichtet, um das vorhandene Licht optimal zu nutzen,
entstehen in Bewegungen unangenehme Nachzieheffekte: Die Bewegungen wirken
nicht mehr so sauber wie bei 1/48 oder 1/50 Sekunde.
Im umgekehrten Fall
gibt es die bereits bekannten Nachteile kürzerer Belichtungszeiten: Wenn die Einzelbilder zu wenig
Bewegungsunschärfe zeigen, wirken schnelle Bewegungen etwas abgehackt; man spricht auch
von einem Stroboskop-Effekt.
Nutzer digitaler Filmkameras kamen also zu der verblüffenden Erkenntnis,
dass sie unterm Strich die besten Ergebnisse erzielen, wenn sie die
vermeintliche Beschränkung aus der Film-Ära auch auf digitales Filmen
übertragen: Die Verwendung von Belichtungszeiten in der Größenordnung 1/48
oder 1/50 Sekunde liefert in Sachen Bewegungsunschärfe immer noch den besten
Kompromiss.
Manchmal wird auch argumentiert, dieses Maß an
Bewegungsunschärfe entspreche einer langjährigen Sehgewohnheit, weil eben
der Großteil analog gedrehter Kinofilme so aussah. Das mag zumindest ein interessanter
Nebenaspekt sein.
Auch für Zeitlupen und Zeitraffer erwies es sich mit digitalen Kameras immer noch als sinnvoll, die Belichtungszeit nach der 180°-Shutter-Regel zu bestimmen. Es ist optisch im Umfeld der in Echtzeit gedrehten Einstellungen am unauffälligsten, wenn man die Belichtungszeit proportional zur Framerate anpasst. Also wenn man z. B. mit 60 fps dreht, um damit in einem 24-fps-Film eine 2,5-fache Zeitlupe zu kriegen, empfiehlt sich eine Belichtungszeit in der Größenordnung von 1/120 Sekunde.
Für niedrige Wiedergabeframeraten wie 24 oder 25 fps (evtl. auch noch 30 fps) ist die Einhaltung der 180°-Shutter-Regel sinnvoll. Das gilt für das Drehen in Echtzeit und auch für höhere und niedrigere Aufnahmegeschwindigkeiten, die dann im fertigen Film als Zeitlupen bzw. Zeitraffer laufen sollen.
Alles bisher Gesagte geht davon aus, dass die fertigen Filme eine "filmtypische" Framerate von 24 oder 25 fps haben sollen und höhere Aufnahme-Frameraten allenfalls für Zeitlupen benutzt werden. Das gilt aber längst nicht überall. Im Fernsehen und bei herkömmlichen Videokameras waren schon lange höhere Wiedergabeframeraten (50 fps in Europa bzw. 60 fps in Amerika) gebräuchlich. Gerade Sport-Übertragungen mit viel schneller Bewegung werden nahezu ausschließlich in höherer Framerate produziert, aber auch in dokumentarischen Fernsehfilmen und Studiosendungen sind sie sehr gebräuchlich. Auch viele Urlaubs- und Familienfilmer bevorzugen Wiedergabeframeraten von 50 oder 60 fps aufgrund der flüssigeren Bewegungsdarstellung. Die Frage ist also, welche Belichtungszeiten sinnvoll sind, wenn man einen Film z. B. mit 50 fps als Echtzeit-Framerate produziert.
Versuche haben gezeigt, dass man in Sachen Belichtungszeit umso
flexibler ist, je höher die Wiedergabe-Framerate gewählt wird.
Bei
den langsamen "Film-Frameraten" von 24 oder 25 fps spielt die
Belichtungszeit noch eine sehr große Rolle für den Gesamteindruck: Zu lange
Belichtung erzeugt hässliche Nachzieheffekte, zu kurze Belichtung erzeugt
abgehackte Bewegungen. Mit leichten Abstrichen gilt dasselbe auch noch für
30 fps.
Bei 50 oder 60 fps hat die Belichtungszeit immer noch einen
gewissen
Einfluss aufs Ergebnis, aber dieser Einfluss ist deutlich geringer.
Man kann auch problemlos mit 1/50 bzw. 1/60
Sekunde drehen, ohne wirklich schlimme Nachzieheffekte zu bekommen. Und im
umgekehrten Fall hält sich der Stroboskop-Effekt bei Verwendung kürzerer
Belichtungszeiten in Grenzen (man kann ihn noch sehen, aber er stört weit
weniger als bei 24/25 fps). Die Belichtungszeit gemäß 180°-Shutter-Regel
kann hier zwar manchmal noch ein guter Kompromiss sein (das hängt von Art
und Umfang der Bewegungen im Bild ab), aber es ist eben nur eine Variante
von mehreren und keine allgemeine Empfehlung.
Für noch höhere Wiedergabe-Frameraten als 60 fps fehlen bisher entsprechende Standards und Abspielmöglichkeiten;
von daher ist diese Überlegung etwas theoretisch. Es
gab allerdings schon experimentelle Filme, die mit 120 oder mehr fps gedreht und öffentlich
vorgeführt wurden. Hier hat sich gezeigt, dass man die Belichtungszeit
innerhalb des technisch Möglichen nahezu frei wählen kann; das Auge erlebt
bei hohen Frameraten stets geschmeidige Bewegungen ohne Nachziehen und ohne
Ruckeleffekte.
Beim Drehen mit höheren Frameraten muss man strikt unterscheiden, ob diese später zu Zeitlupen auf 24/25/30 fps verlangsamt werden sollen oder ob sie als hohe Wiedergabeframeraten in Echtzeit abgespielt werden. Das sind zwei komplett unterschiedliche Anwendungen. In der Diskussion um die 180°-Shutter-Regel werden diese Fälle aber oft nicht getrennt - was dann zu irrtümlicher Anwendung der Regel führt.
Für
Wiedergabeframeraten von 50 oder 60 fps ist die Anwendung der
180°-Shutter-Regel unwichtig. Es gibt gute Argumente
auch zugunsten längerer
und kürzerer Belichtungszeiten - und insgesamt ist das Thema nicht so heiß, weil die sichtbaren Unterschiede gering sind.
Für noch
höhere Wiedergabeframeraten (wenn es denn mal entsprechende Standards gäbe) könnte man die Belichtungszeiten von vornherein
unabhängig von irgendwelchen Regeln wählen, weil sich der optische
Bewegungseindruck
hier kaum noch ändert.
Ältere Videofilmer erinnern sich vielleicht noch, dass die Belichtungszeit früher mit den PAL-Camcordern kein großes Thema war. Niemand achtete besonders darauf, die Belichtungszeit gemäß irgendeiner Regel konstant zu halten (und dafür ggfs. umständliche Hilfsmittel wie ND-Filter zu benutzen). Stattdessen überließ man es der Kameraautomatik, die Belichtung mit Hilfe ganz kurzer Belichtungszeiten zu reduzieren - und es gab trotzdem nur selten Klagen aufgrund abgehackter Bewegungen. Das lag vielleicht ein bisschen an den niedrigeren Ansprüchen dieser Zeit. Aber ganz maßgeblich lag es auch daran, dass wir damals mit 50 fps (genauer: 50 Halbbildern/Sekunde) filmten und wiedergaben und deshalb die Belichtungszeit nie so kritisch war. Die 180°-Shutter-Regel wurde von privaten Filmern erst aufgegriffen, als digitale Kameras mit niedrigen Frameraten verfügbar wurden und plötzlich der "Filmlook" gefragt war.
Es gibt sogar Fälle, wo kurze Belichtungszeiten vorteilhaft sind. Wenn
z. B. im Sport Bewegungen per Video analysiert werden sollen, garantiert
eine kurze Belichtungszeit sehr scharfe Einzelbilder. Für das bildweise
Durchschalten und Analysieren ist eine höhere Einzelbildschärfe besser als
Bilder mit Bewegungsunschärfen.
Ähnlich vorteilhaft wirken sich scharfe
Einzelbilder aus, wenn man später aus dem Video Standbilder exportieren
möchte; wenn man filmt, hat man ja oft keine Zeit, parallel auch noch Fotos
zu machen - und gerade die neuen 4k/UHD-Kameras liefern durchaus genug
Auflösung für Papierfotos.
Ein letztes Argument für scharfe Einzelbilder
sind die Kontrast-Autofokus-Systeme vieler Kameras: Sie funktionieren
schneller und zuverlässiger, wenn die Einzelbilder wenig Bewegungsunschärfe
zeigen. Auch das manuelle Scharfstellen mittels Peaking geht leichter, wenn
nicht jede kleine Kamerabewegung zu Bewegungsunschärfe und somit einem
Verschwinden der Peaking-Kanten führt. Erst die sensorbasierten
Phasen-Autofokus-Systeme, wie es sie an manchen jüngeren Kameras gibt,
arbeiten unabhängig von Bewegungsunschärfe.
In den Videoforen tauchten gelegentlich schon Anfragen verzweifelter Filmer auf, die mit 24 fps filmen möchten und festgestellt haben, dass ihre Kamera gar keine 1/48 Sekunde Belichtungszeit anbietet, sondern nur eine Näherung in Form von 1/50 Sekunde. Wenn man sich um die Einhaltung der Regel bemüht, stellt sich also Frage: Wie genau muss man den Wert treffen?
Hier sollte man sich klar machen, dass es bei der Regel um das
subjektive Empfinden von filmischer Bewegung geht. Es geht nicht um
technische Notwendigkeiten. Eine Einhaltung der groben Größenordnung ist
daher völlig ausreichend.
Durch Vergleichsaufnahmen kann man sich
schnell davon überzeugen, dass innerhalb eines gewissen Bereiches nahezu
derselbe optische Eindruck erzielt wird. Konkret heißt das: Bei 24 oder 25
fps kann man 1/50 Sekunde Belichtungszeit verwenden, aber genauso gut auch
1/40 Sekunde oder 1/60 Sekunde. Kaum jemand wird den Unterschied sehen - und
wenn überhaupt, dann nur im kritischen Direktvergleich.
Die Behauptung,
man müsse für 24 fps exakt 1/48 Sekunde benutzen statt 1/50 Sekunde,
ist völliger Unfug. Niemand würde diesen kleinen Unterschied sehen.
Andererseits kann es gute technische Gründe geben, ein bisschen von der Regel abzuweichen. Wenn man nämlich flimmernde Lichtquellen oder Computermonitore im Bild hat und die Flimmerfrequenz nicht zur Framerate passt, lässt sich zur Unterdrückung des Flimmerns eine passende Belichtungszeit verwenden. Wenn man z. B. mit 25 fps filmt und einen 60-Hz-Computermonitor im Bild hat, empfiehlt sich eine Belichtungszeit von 1/60 Sekunde. Oder wenn man mit 30 fps filmt und das Raumlicht in Netzfrequenz (50 Hz) flimmert, sollte man unbedingt 1/50 Sekunde als Belichtungszeit wählen. (Nicht alle Lichtquellen flimmern deutlich, aber ihre Zahl nimmt weiter zu. Betroffen sind z. B. fast alle billigen LED-Leuchtmittel.)
Wer das Filmemachen noch mit analogen Kameras erlernt hat, kennt den Umgang mit Shutterwinkeln und muss sich erst daran gewöhnen, Belichtungszeiten unabhängig von der Aufnahmeframerate zu wählen. Die Hersteller digitaler Filmkameras haben das Bedürfnis erkannt und bieten optional die Möglichkeit, statt direkter Eingabe von Belichtungszeiten einen Shutterwinkel einzustellen. Wenn man die Kamera z. B. auf 180° Hellsektor eingestellt hat, muss man sich um die Belichtungszeit nicht mehr kümmern. Sie wird dann vollautomatisch und exakt gemäß der 180°-Shutter-Regel eingestellt - egal, ob man in Echtzeit filmt oder abweichende Frameraten für Zeitlupen/Zeitraffer benutzt. Eine digitale Kamra verhält sich dann genau wie eine Filmkamera.
Die Frage ist, ob das wirklich so sinnvoll ist.
Wenn man tatsächlich "filmisch" mit Wiedergabeframeraten von 24 oder 25 fps arbeitet, und wenn man gelegentlich auch höhere oder niedrigere Aufnahmeframeraten für Zeitraffer und Zeitlupen benutzt, erscheint die Shutterwinkel-Vorgabe recht nützlich. Allerdings macht sie es relativ schwer und kompliziert, auf Flimmerfrequenzen von Lichtquellen und Monitoren einzugehen. Wer etwa mit 24 fps filmt, würde mit Einstellung auf 180° Hellsektor immer genau 1/48 Sekunde belichten - was dann in europäischen Stromnetzen häufig zu Lichtflimmern führt. Wer das über den Shutterwinkel korrigieren will, muss sehr umständlich rechnen und 172,8° einstellen (weil das 1/50 Sekunde Belichtung bei 24 fps entspricht). Das Rechnen kann man sich sparen, wenn man gleich die Belichtungszeiten direkt einstellt.
Wer eine höhere Wiedergabeframerate wie 50 oder 60 fps anstrebt, ist von vornherein mit einem festen Shutterwinkel nicht gut bedient. Es gibt ja allerhand Gründe, hier bewusst von der 180°-Shutter-Regel abzuweichen (siehe auch nächster Abschnitt).
Sinn der 180°-Shutter-Regel ist es, ein gutes Maß an Bewegungsunschärfe
zu erhalten, damit Bewegungen nicht abgehackt wirken. Bewegungsunschärfe hat
aber immer auch eine unschöne Nebenwirkung: Sie verringert die nutzbare
Detailauflösung. Wenn Szenen sehr viel Bewegung enthalten, gibt es oft nur
noch wenige Momente, wo man feinere Details im Bild gut erkennt.
Wenn man
relativ nah vor dem Bildschirm sitzt und einen Film anschaut, der in 24 fps
und UHD-Auflösung unter Beachtung der 180°-Shutter-Regel (d. h.
Belichtungszeit um 1/50 Sekunde) gedreht wurde, sieht man das Phänomen
besonders deutlich: Solange sich im Bild nichts Wesentliches bewegt, ist
alles superscharf und detailreich. Aber in dem Moment, wo die Kamera zu
schwenken beginnt oder ein größeres Motiv sich durchs Bild bewegt, fällt die
Detailauflösung schlagartig ab. Das kann sich z. B. darin äußern, dass man
kleine Beschriftungen bei stehender Kamera problemlos lesen kann, während
die Schrift im Moment der Bewegung bis zur Unkenntlichkeit verwischt wird.
Auch in HD-Auflösung kann man diesen Effekt noch beobachten, aber dann schon
in abgeschwächter Form. Noch weniger fällt er in SD-Auflösung auf.
Je höher die Auflösung wird, desto negativer kann sich
Bewegungsunschärfe auswirken, und umso mehr wünscht man sich scharfe
Einzelframes. Nicht in jeder Situation wird man dann noch an der
180°-Shutter-Regel festhalten wollen. Schärferen Einzelbildern steht aber der
damit verbundene Ruckeleffekt entgegen - insbesondere natürlich bei den
"filmischen" niedrigen Frameraten. Trotzdem kann je nach Verwendungszweck
des Films eine kürzere Belichtung der bessere Kompromiss sein - Ruckeln hin
oder her.
Mit 50 oder 60 fps kann man den Ruckeleffekt der kurzen
Belichtungszeiten stark abmildern, was deren Einsatz für viele
UHD-Anwendungen interessant erscheinen lässt. Für perfekte Ergebnisse, also
richtig flüssige Bewegungsdarstellung und gleichzeitig jederzeit
beste Detailauflösung, wären sogar noch weit höhere Wiedergabeframeraten
nötig (für die es aber bisher keine Standards gibt - und die aufgrund der
immensen Datenmengen auch kaum praktibel wären).
Einen Preis haben hohe
Frameraten immer: Auf den vielgelobten "Filmlook" im herkömmlichen Sinne
muss man dann verzichten. Wobei hier einmal mehr die Diskussion geführt
werden sollte, wie sinnvoll das Ideal der geringen Framerate und großen
Bewegungsunschärfe überhaupt noch ist - gerade in Verbindung mit ultrahohen
Bildauflösungen. Eine UHD- oder 4k-Auflösung, die man quasi nur in
statischen Einstellungen sehen kann und die im Moment der Bewegung
einbricht, ist ja auch nur von beschränktem Nutzen. Sollten sich irgendwann
8k-Formate und entsprechend größere Bildschirme durchsetzen, wären die
Probleme nochmal heftiger.
Am Markt dominieren heute noch 4k/UHD-Kameras, die maximal 30 fps aufnehmen können. Manchmal merken deren Nutzer das nicht gleich, weil die fehlenden Bewegungsschritte von den "Bewegungsglättungen" moderner Fernsehgeräte kompensiert werden: Auch Filme, die mit 24 fps und sehr kurzer Belichtungszeit gedreht wurden, wirken dann plötzlich ganz flüssig. So ein Interpolieren von Zwischenbildern ist aber je nach Motiv ein sehr fehleranfälliges Verfahren und kann nicht die letzte Antwort sein. Auf lange Sicht wird man, wenn man hohe Auflösungen richtig ausreizen will, wirklich höhere Frameraten verwenden müssen. Bewegungsunschärfe und die 180°-Shutter-Regel werden dann so oder so hinfällig.
Für praktische Tipps muss man nach der Größenordnung der Wiedergabeframeraten unterscheiden.
Im Hinblick auf eine ausgewogene Bewegungsdarstellung ist es hier sinnvoll, eine Belichtungszeit in der Größenordnung zu verwenden, die sich aus der 180°-Shutter-Regel ergibt. Bei 24 fps exakt 1/48 Sekunde zu belichten, bringt allerdings keinen Vorteil. Man wird für beide Frameraten standardmäßig 1/50 Sekunde nehmen. Wenn in 25 fps gedreht wird und man Rücksicht auf 60-Hz-Flimmerquellen nehmen muss, kann man auch auf 1/60 Sekunde (oder in dunkler Umgebung mit wenig Bewegung sogar auf 1/30 Sekunde) ausweichen.
Falls Zeitlupen oder Zeitraffer gedreht werden sollen, die dann
hinterher auf 24 oder 25 fps verlangsamt bzw. beschleunigt werden
sollen, empfiehlt sich eine Belichtungszeit gemäß der groben Größenordnung
der 180°-Shutter-Regel. Etwa wenn 50 fps gedreht wird und dies nachträglich
auf 25 fps verlangsamt werden soll, sollte die Belichtungszeit in der
Größenordnung von 1/100 Sekunde liegen. Selbst bei extremen Zeitraffern kann
die Einhaltung der Regel vorteilhaft sein; etwa wenn man jede Minute ein
Bild aufnimmt, würde man, sofern die Kamera das zulässt, jedes Einzelbild 30
Sekunden lang belichten (ggfs. mit Hilfe starker ND-Filter).
Das Prinzip gilt
auch dann,
wenn man plant, nachträglich per Software neue Zwischenframes zu
interpolieren. Also wenn man z. B. in 50 fps filmt, um daraus später 150 fps
für eine 6-fache Zeitlupe zu errechnen, sollte man gleich eine
Belichtungszeit in der Größenordnung von 1/300 Sekunde benutzen. Nur dann
bekommen die späteren Einzelframes das "regelkonforme" Maß an Bewegungsunschärfe.
Auch in diesem Fall sollte man sich noch einigermaßen in der
Größenordnung der 180°-Shutter-Regel bewegen, aber man kann bei Bedarf schon
etwas stärker abweichen. Mit Blick auf
mögliche 50-Hz-Flimmerquellen wird es sich häufig anbieten, 1/50 Sekunde zu benutzen.
Man kann dann ruhig alles pauschal in 1/50 Sekunde drehen - also auch solche
Einstellungen, die keine Lichtquellen enthalten.
Für Zeitlupen und Zeitraffer gelten dieselben
Grundsätze wie bei 24 und 25 fps, aber man kann sich mehr
Toleranz herausnehmen.
Eine Beachtung der 180°-Shutter-Regel ist für die etwas höheren
Wiedergabeframeraten zwar möglich, aber sie ist unterm Strich nicht immer die
beste Wahl. Stattdessen sollte man sich auch an anderen Überlegungen
orientieren und ggfs. bewusst von der Regel abweichen.
Falls die Möglichkeit
besteht, dass die Framerate des Films später noch unfreiwillig auf 25 bzw.
30 fps halbiert wird (das passiert z. B. in manchen Internet-Videoportalen),
würden Belichtungszeiten von 100 bzw. 1/120 Sekunde bereits zu abgehackten
Bewegungen führen. Dann ist es besser, sicherheitshalber alles mit 1/50 bzw.
1/60 Sekunde zu drehen, so dass im Fall der Frameraten-Halbierung noch genug
Bewegungsunschärfe übrig bleibt.
Falls mit 50 fps gedreht wird und
60-Hz-Lichtquellen oder 60-Hz-Monitore im Bild sind, empfiehlt sich eine
Belichtungszeit von 1/60 Sekunde, um eventuelle Flimmerprobleme zu umgehen.
Entsprechend würde man für 60 fps in einer 50-Hz-Umgebung auf 1/100 Sekunde
Belichtung gehen.
Auch für Zeitlupen oder Zeitraffer, die später 50 oder 60 fps als Wiedergabeframeraten haben sollen, ist die pauschale 180°-Shutter-Regel nicht sinnvoll. Hier sollte man sich eher proportional an der Belichtungszeit orientieren, die man für die Echtzeit-Aufnahmen desselben Filmes verwendet. Wenn man z. B. mit 50 fps und 1/50 Sekunde Belichtungszeit dreht, kann man dieses Verhältnis auch auf Zeitlupen übertragen und beim Filmen mit 120 fps eine Belichtungszeit in der Größenordnung von 1/120 Sekunde wählen.
Solange man keine Profi-Ansprüche hat und sich das Hantieren mit ND-Filtern
sparen will (z. B. im Urlaub), könnte man sich auch entschließen, so zu
arbeiten wie eine Kameraautomatik: Man zieht die
Belichtungszeit zur Regelung der Belichtung heran und nimmt in heller
Umgebung auch sehr kurze Belichtungszeiten in Kauf. Bei 50 oder 60
fps Wiedergabeframerate ist das qualitativ zwar nicht optimal, aber durchaus vertretbar (im Zweifel
einfach mal vorher testen - viele Anwender sind überrascht, wie gering die
sichtbaren Unterschiede in der Praxis sind). Den Vorteil, später auch
scharfe Standbilder fürs Familienalbum entnehmen zu können, bekommt man mit
dieser Arbeitsweise automatisch noch dazu.
Voraussetzung für problemlose
Verwendung kurzer Belichtungszeiten ist allerdings, dass der Film
überall in 50 bzw. 60 fps wiedergegeben wird und die Framerate nicht doch
noch irgendwo halbiert wird.
Autor: Andreas Beitinger
Letzte Änderung: März 2019