Warum der CIPA-Wert sehr wenig aussagt
Wann immer Kompaktkameras verglichen oder die Vor- und Nachteile spiegelloser Kameras gegenüber Spiegelreflexkameras diskutiert werden, taucht die Frage nach der Zahl der Auslösungen auf, die eine Kamera pro Akkuladung schafft. Wer eine neue Kamera kauft und längere Foto-Touren plant, möchte wissen, wie lang sein Akku hält bzw. wieviele Ersatzakkus er besorgen muss.
Praktischerweise geben die Hersteller gleich eine Zahl vor, an der
man sich orientieren können soll: den CIPA-Wert. Er erlaubt einen schnellen,
bequemen Vergleich unterschiedlichster Kameras. Da erfährt man dann zum
Beispiel, dass eine bestimmte Kamera 930 Auslösungen pro Akkuladung
erreicht, eine andere Kamera hingegen nur 280.
Anfänger stellen sich
das ganz einfach vor und überlegen sich, wieviele Bilder
sie typischerweise pro Urlaubstag machen werden. Danach entscheiden sie
dann, ob sie einen Ersatzakku brauchen oder nicht.
Der Haken daran:
Mit der Praxis haben die
CIPA-Werte so gut wie nichts zu tun. Das
geht so weit, dass in Einzelfällen sogar die Kamera mit dem niedrigeren
CIPA-Wert eine höhere Zahl von Auslösungen pro Akkuladung
erzielen kann.
In den Foto-Foren findet man immer mal wieder
erstaunliche Erfahrungswerte zu Kameras. Da gibt es dann jemanden, dessen spiegellose
Kamera laut CIPA-Wert 440 Aufnahmen pro Akkuladung kann, der aber
regelmäßig mehr als 2000 Aufnahmen mit einem einzigen Akku hinbekommt.
Und da gibt es den DSLR-Besitzer, dessen Kameraakku laut CIPA für über
1000 Aufnahmen reichen sollte, der aber schon nach knapp 100 Aufnahmen den
Akku wechseln muss.
Der CIPA-Wert war sicherlich mal gut gemeint und sollte den Vergleich von Kameras erleichtern, aber er hat sich leider überhaupt nicht bewährt. Es ist ausgesprochen fragwürdig, die ganze Thematik in einen einzigen Wert packen zu wollen.
Zwei Grundprobleme machen die Messung schwierig: die sehr unterschiedlichen
Nutzungsgewohnheiten der Fotografen und die sehr unterschiedlichen
Arbeitsweisen von Kameras.
Mancher Fotograf macht in kurzer Zeit sehr viele
Fotos - teilweise noch im Serienbildmodus. Andere Fotografen komponieren
ihre wenigen Aufnahmen sorgfältig, stellen alles schrittweise von Hand
ein und schauen minutenlang in den Sucher oder aufs Display, bevor sie
dann ein einziges Mal auslösen. Da manche Kameras den meisten Strom im
Standby verbrauchen, andere eher beim Auslösen, können sich allein
daraus sehr unterschiedliche Werte ergeben. Hinzu kommen weitere
Unwägbarkeiten wie der Stromverbrauch des verwendeten Objektivs (mit
Autofokus und Stabilisator) sowie die Häufigkeit der Nutzung des
eingebauten Kamerablitzes.
Die Idee hinter dem Standard ist es, eine typische und
durchschnittliche Nutzung der Kamera zu simulieren. Die
Kameraeinstellungen werden zunächst (soweit möglich) in den
Auslieferungszustand versetzt und der Akku komplett geladen. Danach wird
nach einem bestimmten Zyklus so lange fotografiert, bis die Kamera
aufgrund schwacher Akkuleistung abschaltet.
Der Zyklus beginnt mit
dem Einschalten der Kamera, danach 30 Sekunden Pause, danach die erste
Aufnahme. Nach jeweils 30 Sekunden Pause erfolgt die nächste Aufnahme.
Nach insgesamt 10 Aufnahmen wird die Kamera ausgeschaltet und nach einer
nicht näher definierten Pause wieder eingeschaltet - und damit beginnt
der Zyklus von vorn.
Es gibt noch weitere Vorgaben: Hat die Kamera
einen eingebauten Blitz, wird dieser für jede zweite Aufnahme
eingeschaltet. Hat die Kamera ein Motorzoom, wird dieses vor jeder
Aufnahme einmal komplett durchfahren.
Die CIPA (Camera & Imaging Products Association) ist eine herstellerübergreifende Organisation, die in unterschiedlicher Weise die Entwicklung und Produktion von Digital-Imaging-Produkten unterstützt. Das reicht von der Erhebung von Verkaufsstatistiken bis hin zur Definition von Industriestandards. Zu den CIPA-Standards gehören z. B. Vorgaben für EXIF- und XMP-Daten, ein Ablauf für die Ermittlung der Effektivität von Bildstabilisatoren, Definitionen für die ISO-Empfindlichkeitswerte von Kameras und einige mehr. Der unter Anwendern bekannteste dieser Industriestandards heißt "CIPA DC-002 2003" und befasst sich mit dem Akkuverbrauch von Digitalkameras. Wenn umgangssprachlich von einem CIPA-Wert die Rede ist, ist meistens dieser Akkuverbrauchs-Wert gemeint.
Man könnte eine lange Liste von Gründen aufführen, wie es zu Abweichungen zwischen dem CIPA-Wert und der fotografischen Praxis kommt. Hier sollen zumindest die fünf wichtigsten Punkte kurz skizziert werden:
Der CIPA-Zyklus schreibt lange Pausen zwischen den einzelnen
Aufnahmen vor. Dadurch werden Kameras benachteiligt, die einen relativ
hohen Dauer-Stromverbrauch haben (z. B. spiegellose Kameras mit
elektronischen Suchern). Die eigentlichen Auslösungen verbrauchen dort
im Vergleich gar nicht so viel; besonders energiesparend sind
elektronische Verschlüsse. Umgekehrt kommen Spiegelreflexkameras mit
niedrigem Dauer-Stromverbrauch im CIPA-Zyklus relativ günstig weg - auch
wenn bei ihnen die einzelnen Auslösungen aufgrund des Klappspiegels etwas
mehr Strom verbrauchen.
Wer gegenüber der CIPA-Messung in wesentlich
kürzerer Folge fotografiert und die Kamera bei Nichtgebrauch gleich
abschaltet, verbraucht im Schnitt pro Aufnahme deutlich weniger Strom. Dies dürfte
der Grund sein, warum gerade bei spiegellosen Kameras in der Praxis
manchmal
ein Mehrfaches der Auslösezahlen erreicht wird, die der CIPA-Wert
besagt. Am heftigsten sieht man den Unterschied bei Sportfotografen, die
Serienbilder machen.
Wenn ein Landschaftsfotograf nur selten auslöst
und vor jeder Aufnahme erst lange Zeit in den Sucher oder auf den Monitor
schaut, kann natürlich auch das umgekehrte Extrem passieren: Dann
erzielt er pro Akkuladung weit weniger Auslösungen.
Ähnliches gilt
für Leute, die ihre Kamera wochen- oder monatelang ungenutzt im Schrank
stehen lassen; da kann schon allein die Selbstentladung des Akkus die
Zahl der erzielbaren Auslösungen schmälern.
Dass die Benutzung des eingebauten Kamerablitzes deutlich
Akku-Leistung kostet, versteht sich von selbst. Für viele Fotografen
spielt das keine Rolle, da sie den internen Blitz ihrer Kamera nur
selten benutzen. Die CIPA-Vorgabe schreibt allerdings bei jeder zweiten
(!) Aufnahme den Blitz vor und schmälert damit die Anzahl der erreichbaren
Aufnahmen spürbar; in Kameras mit eher niedrigem Standby-Stromverbrauch (z. B.
DSLRs im Sucherbetrieb) wirkt sich das dann besonders drastisch aufs
Gesamtergebnis aus.
Der Witz an der Sache ist, dass Kameras,
die erst gar keinen eingebauten Blitz haben, durch die CIPA-Messung
systematisch bevorzugt werden. Hieraus entsteht ein verzerrter
Vergleich. Eine DSLR ohne eingebauten Blitz kann in der
CIPA-Messung rund 50 % mehr Auslösungen erzielen als eine ansonsten
vergleichbare DSLR mit eingebautem Blitz. Wahrscheinlich wird Letztere
ebenfalls 50 % mehr Auslösungen schaffen, solange man ohne Blitz
fotografiert - nur wird dieser Wert nicht separat gemessen.
Da ein Motorzoom laut CIPA vor jeder Aufnahme einmal komplett
durchfahren werden muss, senkt sein Stromverbrauch die Akkukapazität.
Bei vielen Kompakt-und Bridge-Kameras mit einziehbarem Objektiv kommt hinzu, dass
das Objektiv für jeden Aus- und Einschaltvorgang motorisch bewegt werden
muss.
Wer hingegen viele Bilder hintereinander mit gleicher
Zoom-Einstellung macht, oder wer die Kamera in Relation zur Zahl der
Aufnahmen nur selten ein- und ausschaltet, kommt mit solchen Kameras auf
mehr Bilder pro Akkuladung. Im Fall von Wechselobjektiv-Kameras muss man
zudem genau hinschauen, ob das zum Test verwendete (Kit-)Objektiv ein
Motorzoom hatte.
Die CIPA-Messung findet unter normaler Raumtemperatur statt. Bei sehr
niedrigen Temperaturen halten Akkus jedoch nicht so lang
durch. Wie sie sich bei sehr hohen Temperaturen verhalten, ist schwerer
vorauszusagen, aber oberhalb einer gewissen Grenze ist ebenfalls mit
schwächerer Leistung (und im Extremfall sogar mit vorzeitiger
Abschaltung) zu rechnen.
Hohe Akkutemperaturen bekommt man übrigens
nicht nur durch eine hohe Umgebungstemperatur, sondern sie können auch
im Dauerbetrieb einer Kamera durch interne Erhitzung entstehen.
Da die Kamera für die CIPA-Messung überwiegend in "Werkseinstellung" gesetzt wird, können die Hersteller bei Bedarf tricksen, um auf bessere Werte zu kommen. Man denke zum Beispiel an den Stromverbrauch eines Bildstabilisators: Wenn der zwar vorhanden ist, aber im Auslieferungszustand der Kamera deaktiviert ist, wirkt er sich nicht negativ auf den CIPA-Wert aus. Auch andere Einstellungen können Einfluss auf den Stromverbrauch haben, z. B. die Wahl zwischen elektronischem und mechanischem Verschluss, die voreingestellte Helligkeit des Displays, die Wiedergabe von Auslöse-Tönen oder das Zuschalten eines AF-Hilfslichtes. Selbst die Wahl von Ausgabeformat und Kompression kann sich ein bisschen aufs Ergebnis auswirken, weil größere Dateien längere Speicherzeiten benötigen.
Mit dem CIPA-Wert für die Auslösungen pro Akuladung verhält es sich mittlerweile ähnlich wie mit dem Body-Mass-Index fürs Körpergewicht: Jeder weiß, dass der Wert nicht viel taugt - aber wir orientieren uns trotzdem daran, weil wir halt noch nichts Besseres haben.
Die Frage ist also,
woran ich mich als Käufer halten soll, wenn ich heute eine Kamera mit
möglichst guter Akkuleistung suche.
Zunächst kann man sich an die Regel halten, dass man mit
DSLRs tendenziell mehr Bilder pro Akkuladung bekommt als mit
spiegellosen Kameras oder Kompaktkameras. Einige neuere
spiegellose Modelle gleichen den Nachteil aus, indem sie Akkus mit
höherer Kapazität verwenden und standardmäßig den elektronischen
Verschluss nutzen; so können sie in bestimmten Nutzungsszenarien
durchaus mehr als das Fünffache des CIPA-Wertes erreichen. Das heißt
aber nicht, dass sie deshalb schon den DSLRs überlegen wären - denn
diese schaffen bei vergleichbarer Nutzung ebenfalls Auslösezahlen
deutlich über dem CIPA-Wert (wenn auch hier die Abweichung nicht ganz so
heftig ausfällt).
Und natürlich gibt es auch andere
Nutzungsszenarien, in denen die Verhältnisse dann wieder ganz anders
aussehen; zu berücksichtigen sind vor allem die Pausen zwischen den
einzelnen Aufnahmen sowie die Häufigkeit, mit der der eingebaute Blitz
verwendet wird.
Optimal für eine Einschätzung wären Praxiswerte. Den CIPA-Wert wird man allenfalls für Vergleiche innerhalb der Kameraklassen verwenden - nicht klassenübergreifend.
Am ehesten etwas mit der Praxis zu tun hat der CIPA-Wert noch bei DSLRs. Da kann man ihn zumindest als grobe Orientierung für durchschnittliche Nutzung hernehmen. Im Hinterkopf behalten muss man immer das Thema Blitz - besonders, wenn man Modelle mit und ohne eingebauten Kamerablitz vergleicht.
Spiegellose Systemkameras schneiden beim CIPA-Test systematisch schlechter ab als DSLRs. Das gilt selbst für die neueren Modelle mit großem Akku, die ja in der Praxis mit DSLRs schon fast mithalten können. Insofern sollte man sich hier von den absoluten Zahlen nicht gleich abschrecken lassen und lieber nach echten Erfahrungsberichten Ausschau halten. (Bevorzugt sollte man Erfahrungen von Fotografen beachten, deren Nutzungsgewohnheiten den eigenen ähnlich sind.) Für klasseninterne Vergleiche auf Basis des CIPA-Wertes muss man natürlich darauf achten, ob die Kamera einen eingebauten Blitz hat oder nicht.
Größere Bridge-Kameras sind ähnlich zu bewerten wie spiegellose Systemkameras. Hinzu kommt hier stets das Thema Motorzoom, das die Werte im Vergleich noch etwas schlechter erscheinen lässt - ohne, dass die erzielbare Auslösezahl pro Akkuladung tatsächlich schlechter sein muss.
Kleinere Kompaktkameras sind technisch mit den Bridge-Kameras vergleichbar. Sie haben allerdings nochmal schlechtere CIPA-Werte, weil sie mit kleineren Akkus auskommen müssen. Ein kleinerer Akku ist ein tatsächlicher Nachteil - also er bestätigt sich auch in der Praxis. Trotzdem können auch Kompakte oft höhere Auslösezahlen als den CIPA-Wert schaffen, wenn man mehr Aufnahmen kurz hintereinander macht und nur selten den Blitz benutzt.
Bitte die Werte nicht wild durcheinanderwürfeln! Wenn man z. B. von einem Sportfotografen hört, der mit einer bestimmten spiegellosen Kamera auf rund 2200 Aufnahmen pro Akkuladung kommt, darf man das nicht einfach vergleichen mit den 1050 Auslösungen, die als CIPA-Wert für eine bestimmte Spiegelreflexkamera angegeben werden. Denn auch die DSLR würde ja in der Praxis wesentlich mehr Bilder schaffen als im CIPA-Test.
Wenn man Praxiswerte vergleicht, dann müssen es Praxiswerte für beide Kameras sein, die auch in vergleichbarer Nutzung erzielt wurden.
Wieviele Akkus man z. B. im Urlaub oder für ein Shooting tatsächlich braucht, lässt sich leider nicht
anhand des CIPA-Wertes berechnen - noch nicht mal näherungsweise. Da
hilft nur die eigene Erfahrung mit dem jeweiligen Kameramodell.
Unabhängig vom tatsächlichen Bedarf empfehle ich, grundsätzlich
zu jeder neuen Kamera mindestens einen zweiten Akku zu besorgen. Der Zweitakku schützt ja auch vor
plötzlichen Akku-Schäden oder für den Fall, dass man über Nacht mal das
Laden vergessen hat.
Bevor man sich allzu sehr den Kopf über die Akkuleistung zerbricht, kann es lohnen, das Thema noch generell zu hinterfragen: Ist es für mich wirklich so wichtig, wieviele Aufnahmen pro Akkuladung meine Kamera schafft?
Es gibt Fälle, wo man den Akku nur schwer wechseln kann. Wenn z. B.
die Kamera in einem Unterwassergehäuse steckt, kommt man an den Akku erst
wieder nach dem Auftauchen ran. Oder wenn die Kamera auf einem
Panoramakopf sorgfältig einjustiert wurde und dort das Akkufach
blockiert ist, möchte man die Justage nicht nach dem nötigen Akkuwechsel
wieder neu machen müssen.
Zu manchen Kameras gibt es für diese
Spezialfälle sogar alternative Lösungen, z. B. eine Stromversorgung mit
Netzteil, einen Batteriegriff mit Zweitakku oder die
Anschlussmöglichkeit für eine USB-Powerbank.
Für die meisten anderen Anwender ist es kein großes Problem, den Akku
zwischendrin zu wechseln. Dank Fremdherstellern ist man ja auch nicht
mehr auf die überteuerten Originalakkus der Kamerahersteller angewiesen.
Also bevor man an anderer Stelle Kompromisse eingeht, um vermeintlich
auf mehr Auslösungen pro Akkuladung zu kommen, hält man besser die
nötige Zahl zusätzlicher Akkus in der Tasche bereit.
Autor: Andreas Beitinger
Letzte Änderung: August 2018
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